Gerade 17 Jahre alt kam Olga 1972 in die DDR. In der Gemeinschaft der vertriebenen Wolgadeutschen hatten sich die Eltern in Novosibirsk kennen und lieben gelernt.
Dann machte das Gerücht die Runde, dass eine Ausreise für die Familie möglich wäre. Während der Vater misstrauisch reagierte, drängte Olga gemeinsam mit ihrer Cousine Emma, es wenigstens zu versuchen. Schließlich willigte der Vater ein, aber auf die Bewilligungsbehörde sollten die Mädchen schon selbst gehen. Dort sah sich Olga einer Macht ausstrahlenden sehr gut gekleideten und frisierten Angestellten gegenüber, die ihr einen riesigen Packen Antragsformulare in den Arm drückte. Woran keiner so richtig geglaubt hatte - schon nach nur drei Monaten wurde der Ausreiseantrag bewilligt.
Kira musste länger auf ihre Ausreisegenehmigung warten. Sie stammt aus Sibirien, hatte dort studiert und ihr Diplom als Musikpädagogin erhalten. 1996 heiratete sie einen Deutschstämmigen. Die schwierige Lage in den 90er Jahren in Russland veranlasste beide nach Deutschland umzusiedeln.
Cigdem ist eine deutsche Kurdin, und ihre Heimat ist Mann-heim. Als sie mit ihre Eltern aus der Türkei kam, sprach sie noch kein Deutsch. Das lernte sie in der Schule, allerdings so richtig erst im Gymnasium, wie sie lachend bemerkt, denn die Haupt- und Realschule, die sie zunächst absolvierte, besuchten nur Kinder mit Migrationshintergrund.
Thien Kim tut sich schwer mit dem Begriff fremd. Sie ist hier geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern hatten sich 1990 entschieden, die angebotenen 3000 Euro auszuschlagen für eine Rückreise nach Vietnam.
Moderator Frank Karbstein spürte mit seinen Gesprächsgästen Olga Lange, Kira Schabli, Cigdem Bicem und Thien Kim Le Doan den Beweggründen nach, sich in der Fremde einzurichten, Neues, Schönes aber auch Schwierigkeiten auf sich zu nehmen. Olga, die von der streng katholischen Großmutter und in der Schule Deutsch gelernt hatte, fand sich plötzlich in sächsischer Nachbarschaft wieder, wo sie zunächst kein Wort verstand. Auch Kira kämpfte mit der deutschen Sprache, Schlüssel zur Verständigung und Integration in die deutsche Gesellschaft. Sie musste erleben, dass sie an der Seite ihres Mannes nach ihrer Ankunft kaum Anerkennung fand. Inzwischen ist die starke junge Frau an einer Geraer Grundschule wieder als Musiklehrerin tätig. Während Thien Kims Mutter die vietnamesischen Traditionen pflegt, kann Thien Kim selbst nicht allzu viel damit anfangen, sie liebt die deutschen Feste, aber auf die großen Treffen der vietnamesischen Community freut sie sich immer. Sie finden zweimal im Jahr statt, in jeder Stadt, weiß sie zu berichten. Und Cigdem bezaubert mit ihrer Offenheit gegenüber allen Religionen. Sie schildert Frank Karbstein im Studio des Geraer Bürgerfernsehens ihre erste Begegnung mit der christlichen Religion. Mit der Klasse besuchte sie eine Kirche, lauschte den Ausführungen über das Christentum und gestand mit zutiefst schlechtem Gewissen den muslimischen Eltern zu Hause, vermutlich etwas sehr Böses getan zu haben. Daraufhin beschwichtigten die Eltern, sie habe recht getan, jede Religion verdiene Respekt.
Der Live-Talk wurde im Rahmen des Lokalen Aktionsplanes Gera produziert und vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Jugend und Senioren gefördert. Die Studioproduktion „Augenscheinlich fremd?“ wird vom 11. bis zum 18. Dezember täglich 19:10 Uhr im Geraer Bürgerfernsehen ausgestrahlt und ist in der Mediathek abrufbar.